Der Selbstoptimierungswahn hat die Schwangeren erreicht. Hört auf euch zu vergleichen!, sagt unsere Hebammen-Kolumnistin, und haltet lieber zusammen.
Der neue Trend in der Schwangerschaft ist die Schwangeren-Diät. Ein Plan mit genauen Vorgaben für die Ernährung erreicht meinen Schreibtisch. Es wird gewogen, abgemessen und gezählt. Passend dazu finde ich eine App: Zu sehen sind kleine Videos, eine sehr schlanke Schwangere, die eine der wenigen ist, die einen beneidenswerten Stoffwechsel zu haben scheint und wirklich kein Gramm zu viel zunimmt, macht darin ganz locker ein paar Yoga-Übungen vor.
Der Gang zur Waage wird für Schwangere heute zur Zitterpartie. Die angezeigten Zahlen sind immer zu viel oder zu wenig, selbst wenn sie völlig in dem Rahmen liegen, den irgendwer festgelegt hat. Die Sorge, die Kilos nicht wieder loszuwerden nach der Geburt, beginnt schon jetzt. Der Druck, in die Gewichtstabelle zu passen, ist enorm. Die Frauen beäugen argwöhnisch die kleine Spalte im Mutterpass, in der die ungeliebten Zahlen eingetragen werden. Auf Instagram werden fleißig Fotos gepostet, Bäuche verglichen, Ernährungstipps ausgetauscht – der Wettkampf beginnt.
Erstaunt schaue ich die Pläne und Zielvorgaben aus dem Internet an. Am liebsten würde ich ein Bild von mir –hochschwanger, 35 Kilogramm mehr Gewicht auf dem Körper als vor der Schwangerschaft – aus der Tasche ziehen. Ich hatte tatsächlich zu viel zugenommen, und die erhobenen Brauen meiner Freundinnen waren mir ein Graus. Nein, sie sagten nichts, aber ich konnte die Frage in ihren erstaunten Gesichtern lesen: Na, ob sie das je wieder abnehmen wird?
Ich fühlte mich wie eine Mastgans. Den Gang auf die Waage habe ich irgendwann verweigert. Genaue Gewichtsangaben zu meinem sehr deutlichen Übergewicht brauchte ich nicht, und ich wollte sie auch nicht sehen. Was sollte ich auch machen? Ich hatte Hunger und Hunger und Hunger – und Freude beim Essen.
Die Schwangerschaft war früher eine Zeit, in der man einfach essen wollte, worauf einem die Hormone Appetit machten. Im 21. Jahrhundert scheinen Schwangerengelüste verboten. Wo ist sie, die Frau, die an keinem Bäcker vorbeigehen kann und nachts heimlich am Kühlschrank steht, um das Nutella-Glas auszulöffeln?
Dass eine Frau in guter Hoffnung – wie unsere deutsche Sprache ausnahmsweise einmal so schön treffend beschreibt – unter immensem Druck steht, in eine Gewichtsnorm zu passen, die der Individualität ihres Stoffwechsels und ihrer Genetik nicht entspricht, kann nicht das Ergebnis einer gesunden Ernährung sein. Jede Frau ist anders: Die eine wird ein Leben lang Hunger haben, Diäten machen und trotzdem zunehmen, wenn sie eine Pizza nur ansieht, und ihre Baby-Kilos wird sie nie wieder richtig los; die andere bestellt nach einer reichlichen Portion Pasta noch eine Pannacotta, was dem täglichen Kalorienbedarf einer fünfköpfigen Familie entspricht, und wird in ihrem Leben nie über eine Diät nachdenken müssen, sie wird eher aufpassen müssen, nach der Geburt nicht zu viel abzunehmen.
Genau diese Frau betritt den Raum zur Rückbildung in einer kurzen Sporthose und einem bauchfreien Hemdchen. Im Raum herrscht angespannte Stimmung. Die Blicke der anderen Frauen kann ich sehen. Die Frau im knappen Sportoutfit hat keine Ahnung von ihrer Wirkung.
Nach dem Ende des Kurses bitte ich sie kurz um ein Gespräch. Es fällt mir schwer, sie zu bitten, doch einfach in der nächsten Stunde eine lange Hose zu tragen, einfach nur, damit die anderen sich wohler fühlen. Sie lächelt und versteht die Situation vollkommen. Und ja, sehr gern komme sie meiner Bitte nach.
Wir sollten uns mehr unterstützen und zusammenhalten, sagt sie, das wäre doch für alle viel einfacher.