Die Doula, die Stillberaterin, die Neuralgie-Therapeutin, eine Akupunktur-Expertin aus China und die Hebamme. Ach ja ... und die Eltern mit ihrem Neugeborenen.
Wir sitzen am Tisch eines ganz normalen Hausbesuches einer typischen „Mitte Familie „, multinational, multilingual, wohlhabend und gebildet an einem Morgen um halb zehn in Berlin. Wir sind, das Paar mit ihrem Neugeborenen, die Doula, die Stillberaterin, die Neuralgie Therapeutin, eine Akupunktur-Expertin aus China und ich, die Hebamme. Das Stillen klappt nicht so richtig. Nicht so, wie die Beiträge aus der bunten und schönen Instagram Community suggerieren und die Erwartungen sind hoch. 5 Lösungsansätze sitzen hier am Tisch, in Mitte in Berlin. Ein heilloses Durcheinander an Wissen und Besserwisserei. Die Auswirkungen der Neuralgie Therapie, von welcher ich noch nie gehört hatte, und welche ich erst Googlen muss, zeigt mir wenig brauchbare Informationen.
Diese Therapie ist wohl eine Tiefenmassage der Brust, um Blockaden aufzulösen. Eine recht schmerzhafte Prozedur, die tiefblaue Hämatome auf dem Drüsengewebe der Brust der Frau hinterlässt. Akupunktur Nadeln werden gesetzt, die Stillberaterin erklärt ihre Strategie der Verbesserung der Milchbildung und die Doula ihre Ansätze der Ernährung. Lösungsansatz Nummer 6 ist die Osteopathin, die aber erst morgen einen Besuch erst möglich machen kann.
Der frisch gebackene Vater schreibt fleißig die Anweisungen mit. Mit etwas Abstand erinnert mich dieses Szenario an lustige alte italienische Filme, in denen alle am Tisch sitzenden durcheinanderreden und irgendwie immer ein Chaos entsteht, aber lustig ist das hier nicht. Irgendwann ergreife ich meine Chance und gehe mit dem Baby und dem Vater in den Nebenraum, um das Neugeborene zu wiegen. Leise schließt der Mann die Tür. Er schaut mich an und fragt: Was sagst du dazu, was hier gerade stattfindet? Denkst du, dass wir in die Beratungsfalle geraten sind? Ich überlege kurz, bevor ich antworte. Nun diese Menschen sind hier, weil ihr um Hilfe gebeten habt und das Richtige tun wollt. Beratungsfalle ist ein schwieriges Wort, aber ich verstehe, was du meinst mit all den verheißenden Angeboten, die schnelle Hilfe vom Profi versprechen. Umsonst ist das Alles nicht.
Am nächsten Tag während des Hausbesuches stelle ich mir vor, wie immer noch die anderen hier am Tisch sitzen, wenn auch nur virtuell. Muss ich mir nun immer vorstellen, wer da noch mit berät? Ich beginne zu recherchieren, welche Angebote es so gibt, wer sie anbietet und natürlich wer dafür wieviel bezahlen soll.
Ich begebe mich in ein weit verzweigtes Netz von Angeboten rund um die Schwangerschaft und Geburt, die mit saftigen Preisen und bunten Bildern werben, um die Gunst der Schwangeren. Erstaunt finde ich zahlreiche Angebote zu Ausbildungen für Frauen, welche die Schwangeren und Mamas begleiten und beraten sollen. Hebammen gibt es ja nicht genug und naja die Wenigen, die haben ja eh keine Zeit und man würde hier eine wirkliche Marktlücke schließen. Und schnurstracks wird einem auch gleich gezeigt, wie man damit seinem Umsatz so richtig ankurbeln kann. Die Namen der Institute, Akademien und Kompetenz Zentren klingen beeindruckend seriös. Medizinische Fortbildung wäre nicht nötig, um diese Arbeit auszuführen und das Lernen geht auch nur online, in vielversprechenden Kursen per Zoom. Health und Fitness Engineer, Allein Geburt Mentorin, Mama Coach, mentaler Geburtsvorbereitung Coach, Baby und Neugeborenen Coach, Still und Postpartum Coach, bellybinding Coach, birthkeeperin, Team Muttermilch, Still Mentorin, Bauch Flüsterin und motherhood Doulas. Sie zeigen dir, was wichtig ist in der Beratung der Schwangeren und der Frau mit dem Baby. Das Marketing funktioniert sehr gut, denn die Kurse sind voll gebucht. Die Follower Zahlen steigen. Es werden Preise aufgerufen, von denen wir Hebammen als Bezahlung nur träumen können. Und wir alle wissen genau, dass unsere Arbeit gern „ umsonst „ sein soll, auch wenn sie keine Kassenleistung ist, wie die Akupunktur oder das schnelle Zeigen, wie ein Tragetuch so geht. Das Erreichbar Sein bei Tag und Nacht gilt als normale Berufsausübungsqualität. Oft ist in Hebammen Gesprächen zu hören, wie ärgerlich das für uns ist, dass für so viele andere Dinge Geld da ist, aber bei unseren IGEL-Leistungen nur sehr zögerlich zugestimmt wird.
Interdisziplinäres Arbeiten ist in meiner Arbeit ein wichtiger Bestandteil, denn ich kann nicht alles wissen und können, ganz abgesehen vom Nebeneffekt, dass man immer noch was dazulernen kann, von den anderen Spezialisten. Aber was kommt da mit diesen zahlreichen Angeboten, die teilweise sehr eindeutig in unser Beratungsspektrum hineinreichen auf uns zu und vor allem warum ist das so? Heißt es bald, ich bin Mama Coach, und welche Zauberkraft hast du?
Was denken meine Kolleginnen, die jeden Tag treppauf und treppab laufen und ihre Arbeit machen, egal was da Draußen bei Instagram los ist und wer diese Frau und ihr Baby ganz virtuell mitbetreut?
Hier eine Stimme einer Kollegin, die selbst aus einem Land kommt, wo die Arbeit der Hebammen völlig anders ist als bei uns, welche hier in unserem System eine ganz wundervolle und wichtige Arbeit leistet.
„Ehrlich gesagt, ich finde alles langsam nicht mehr normal, dass es solche Ausbildung gibt, statt die Hebamme zu fördern. Mit mehr Ausbildungsplätzen, besserer Bezahlung, besseren Konditionen im Krankenhaus. Wir werden immer schlechte Stimmung im Kreissaal haben, wenn immer mehr Frauen, nur mit solchen Leuten sich informieren. Wir alle wissen, dass wir zu wenig sind, dass es nicht genug Hebammen gibt, für Kreissaal und Wochenbett, aber das ist nicht die Lösung. Wir müssen kämpfen und unseren Beruf schützen von dieser scheiß Ausbildung.
Eine andere Kollegin kommentiert das: Im ersten Moment habe ich das Gefühl, dass wieder jemanden mit den Schwangeren Geld verdient, nur wir Hebammen nicht.
Auch andere Kolleginnen und Mütter gehen auf die Barrikaden und stellen kritische Fragen zur Ausbildung. Die Kommentarfunktion der Anbieter des Accounts der Ausbildung ist kurz danach ausgeschaltet. Kritische Fragen sind offensichtlich unerwünscht.